Wirtschaft braucht Würde – Was Robert Pfaller über Form lehrt und was Unternehmen daraus machen können

Entformalisierung, Funktionalismus, Entmenschlichung – eine unsichtbare Krise

In vielen wirtschaftlichen Zusammenhängen erleben wir heute eine konsequente Entformalisierung: Rituale wie Dienstjubiläen oder formelle Begrüßungen werden abgeschafft, Kommunikation wird auf „Du“ umgestellt, Dresscodes abgeschafft – vermeintlich, um Hierarchien abzubauen und „authentischer“ zu sein. Gleichzeitig herrscht ein radikaler Funktionalismus: Jeder Prozess, jede Rolle, jede Investition wird auf Effizienz, Kosten und unmittelbaren Nutzen überprüft. Das führt zur Entmenschlichung: Menschen werden zunehmend als „Humankapital“ oder „Ressourcen“ behandelt, während ihre kulturellen, emotionalen und sozialen Bedürfnisse ignoriert werden.

Doch wie Pfaller eindringlich zeigt, sind gerade diese vermeintlich überflüssigen Formen zentral für die menschliche Erfahrung. Sie sind keine Masken, die man abwerfen muss, um „echt“ zu sein – sondern ermöglichen Distanz, Würde und Bedeutung. Ohne Form, so Pfaller, kann es kein kultiviertes, freies und respektvolles Zusammenleben geben. In der Wirtschaft führt dieser Verlust zu konkretem menschlichen Leid – und langfristig auch zu ökonomischem Schaden.

Wo Wirtschaft entformt wurde – und darunter leidet

Ein prominentes Beispiel ist Amazon. Der Konzern hat es perfektioniert, Arbeitsprozesse zu automatisieren, zu überwachen und zu standardisieren – jede Pause, jede Bewegung wird getrackt. Doch unter dieser Total-Ökonomisierung verschwinden symbolische Formen: Es gibt keine Rituale der Anerkennung, keine stilisierte Kommunikation, keine Inszenierung von Gemeinschaft. Mitarbeitende berichten von Entfremdung, Erschöpfung, emotionaler Leere. Die Marke selbst hat einen massiven Imageverlust erlitten: Sie steht heute weniger für Fortschritt als für Ausbeutung – ein Zeichen dafür, dass Formverlust auch kulturellen und symbolischen Kapitalverlust bedeutet.

Ähnlich zeigt sich das in der Fast-Fashion-Industrie, wo Kleidung – einst Ausdruck sozialer Rollen und persönlicher Identität – zur reinen Wegwerfware verkommt. Billig produziert, ohne ästhetischen Anspruch oder kulturellen Bezug, spiegelt sie die funktionalistische Logik einer Wirtschaft, die nur das Nützliche zählt. Was dabei verschwindet, ist die Bedeutung – und mit ihr die emotionale Bindung der Konsument:innen.

Selbst vermeintlich progressive Trends wie „New Work“ können scheitern, wenn sie auf eine naive Formlosigkeit setzen. Wenn alle per Du sind, keine festen Arbeitsplätze oder klaren Strukturen bestehen und Meetings „locker“ und „spontan“ ablaufen, fühlen sich viele Menschen nicht freier, sondern orientierungslos. Der Zwang zur „Authentizität“ ersetzt nicht die Sicherheit, die symbolische Formen bieten.

Wirtschaft mit Form: Unternehmen, die Sinn schaffen

Doch es geht auch anders. Zahlreiche Beispiele zeigen, dass eine Wirtschaft, die symbolische Formen pflegt, nicht nur humaner, sondern auch erfolgreicher sein kann. Der deutsche Einzelhändler Manufactum etwa verkauft nicht einfach Produkte, sondern eine Philosophie: Hochwertige, langlebige Dinge werden in einem sorgfältig gestalteten Katalog präsentiert, der mehr an eine liturgische Schrift als an einen Werbeflyer erinnert. Das Einkaufserlebnis wird zum symbolischen Akt – ein Gegenentwurf zur schnelllebigen Konsumwelt. Kunden fühlen sich ernst genommen, als kultivierte Subjekte – und bleiben der Marke treu.

Auch dm-Drogeriemarkt praktiziert eine Form des Wirtschaftens, die Pfallers Ideen nahekommt: Mit festen Ritualen in der Mitarbeitereinführung, respektvoller Kommunikation, bewusstem Umgang mit Sprache und Raumgestaltung, gelingt es dm, eine Unternehmenskultur zu etablieren, in der Menschen als Menschen wahrgenommen werden – nicht als bloße Funktionsträger. Das Ergebnis: hohe Mitarbeiterzufriedenheit, niedrige Fluktuation und wirtschaftlicher Erfolg.

International beeindruckt die japanische Omotenashi-Kultur, etwa im Hotelgewerbe oder bei der Bahn: Durch ritualisierte Gastfreundschaft, stilisierte Höflichkeit und symbolisch aufgeladene Gesten entsteht eine tiefe soziale Resonanz – nicht trotz, sondern wegen der Form. Touristen empfinden diese Kultur als wohltuend, verbindend und sinnstiftend – und sind bereit, dafür zu zahlen.

Ein weiteres Beispiel ist Patagonia: Das Outdoor-Unternehmen verbindet ökologische Verantwortung mit klarer Symbolik – Reparatur statt Neukauf, bewusst gestaltete Kampagnen, starke Narrative. Die Kleidung ist nicht nur nützlich, sondern trägt eine Haltung, ist Ausdruck einer Kultur. Das Unternehmen wächst – weil es nicht nur Produkte verkauft, sondern Sinn.

Pfallers Botschaft an die Wirtschaft

Robert Pfaller zeigt, dass Form keine Nebensache ist, sondern ein zentraler Bestandteil menschlicher Kultur. Eine Wirtschaft, die auf symbolische Formen, auf Rituale, auf Ästhetik und Würde verzichtet, verliert ihre soziale und kulturelle Grundlage. Sie wird zwar effizient – aber leer. Menschen, die in solchen Systemen arbeiten oder konsumieren, leiden: an Sinnlosigkeit, an Kälte, an Orientierungslosigkeit.

Die Alternative ist nicht Romantik oder Rückwärtsgewandtheit. Es geht um die bewusste Gestaltung von Wirtschaft als symbolischer und sozialer Raum. Um Rituale der Anerkennung. Um ästhetische Produkte, die mehr bedeuten als ihren Preis. Um Unternehmen, die als kulturelle Akteure agieren – und damit ihre eigene Zukunft sichern.

In einer Zeit, in der viele Wirtschaftssysteme an Vertrauen und Relevanz verlieren, ist Pfallers Werk ein Weckruf: Nur eine Wirtschaft mit Form hat Zukunft. Nicht weil sie besser funktioniert – sondern weil sie menschlicher ist. Und das ist heute die eigentliche Effizienz: Menschen, die aufblühen, sind die beste Investition.

Fazit

veröffentlicht am

27.3.2025